Barbara Lagler Özdemir, Dr. Hüseyin Özdemir

Zu Beginn eines Coachingprozesses steht die sogenannte Chemistry-Session. Sie steht für den Klima-Check einer Coachin zu Beginn eines Coachingprozesses. Beide Seiten lernen sich kennen und entscheiden darüber, ob sie miteinander arbeiten wollen. Viele sogenannte „Chemistry-Sessions“ finden wir sehr lehrreich, da sie sehr unterschiedlich verlaufen. Der Verlauf ist auch abhängig von der vorherrschenden Unternehmenskultur.


Worum es geht
Die sogenannte „Chemistry-Session“ kann vor einem Coaching bei der Auswahl von Coaches stattfinden. Oder nach der Auswahl der Coachin bzw. des Coaches als erste Runde. In dieser ersten Runde wird der Coachee seine Wahl überprüfen: „Habe ich die richtige Wahl getroffen und will ich weiter machen?“ Wird er oder sie sich fragen.
Üblicherweise dauert das erste Treffen nach der ersten Auswahl durch die Personaler*innen im Unternehmen, 30 bis 45 Minuten.


Das Treffen ist noch kein Coaching. Eine kurze Demo kann durchgeführt werden. Dieses Treffen entscheidet, ob Coaching gemeinsam gestartet werden kann oder nicht.
Wir wollen in dieser ersten Runde auch unserer gegenseitigen Gefühle, Gedanken, erste Ideen er-kunden und gut kommunizieren. Das Ergebnis dieser Session sollte ein gutes Gefühl füreinander und für das Anliegen sein.


Ziele
Diese erste Begegnung ist entscheidend. Gleichzeitig dürfen wir als Coaches nicht nervös werden.


In dieser ersten Besprechung wollen wir herausfinden, ob wir zusammenpassen, ob wir bei dem Anliegen wirklich helfen können. Es ist ein gegenseitiger Check.
Wir gleichen auch die Erwartungen des Coachees mit dem, was mit der Methode des Coachings und der zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist, ab.
Der Coachee will herausfinden, ob der richtige Coach vorgeschlagen wurde, ob er/ sie sich bei ihm/ ihr öffnen kann, ob der Coach vertrauenswürdig und kompetent ist. Diese Coach-Auswahl und Entscheidung ist für den Coachee sehr wichtig. Deswegen dürfen wir als Coaches nicht ge-nervt sein und sollten alle Fragen des Coachees geduldig und wohlwollend beantworten.
Coaching ist zwar kein Freundschaftsdienst, aber die vertrauensvolle und verlässliche Beziehung, die aufgebaut wird, ist vergleichbar.


Vorbereitung

Überlegt euch im Vorfeld dieser Besprechung, welche Fragen gestellt werden könnten, und was ihr auf die Fragen antworten würdet.
Schreibt euren Ansatz nieder und was ihr über euch sagen wollt. Nicht zu lang. Eher kurzgefasst.
Eine Agenda vorab zu versenden ist auch sinnvoll. Dann kann sich euer Coachee auf diese Runde innerlich vorbereiten.


Innere Haltung des Coaches

Wir behalten die Ruhe, höheren sehr gut mit Kopf und mit unserem Herzen zu.
Wir sind konzentriert und vor allem präsent. Wir sitzen in einem ruhigen Raum, ohne Störung. Wir schalten alle Gerätschaften, die unsere Aufmerksamkeit reduzieren würden, ab. Im Online-Gespräch wissen alle zu Hause Bescheid, dass dieses wichtige Gespräch stattfindet.
Wir schauen freundlich und lächelnd in die Kamera und halten so Blickkontakt. Zwischendurch machen wir uns Notizen. Vielleicht fragen wir sogar, ob es in Ordnung ist, dass wir uns Notizen machen. Falls der Coachee das nicht will, was eher unwahrscheinlich ist, zeigen wir unsere Hände von Zeit zu Zeit sichtbar in die Kamera. Hierzu können wir die Hände falten oder einen Stift in der Hand halten.

Achtet darauf, ob ihr offen genug und wirklich interessiert seid sowie wirklich helfen wollt. Falls nicht, wird das euer Coachee spüren.


Beziehung starten

Das Coaching steht und fällt mit der verlässlichen und tragfähigen Beziehung. Euer Coachee muss sich bei euch gut aufgehoben fühlen.
Euer Coachee wird den für sich selbst die beste Coachin suchen und sollte nach der ersten Runde folgendes denken bzw. fühlen. Viel Zeit gibt es hierfür in dieser allerersten Runde nicht:
„Ja, sie ist eine gute Wahl. Ich kann ihr vertrauen und mich öffnen und meine tiefsten Gedanken und Gefühle mit dieser Coachin teilen. Sie wird mir helfen. Sie wird mir guttun. Sie wird mich stärken und auf meinem Weg meine Ziele zu erreichen unterstützen. Sie ist kompetent und macht einen professionellen Eindruck. Ihr Stil passt mir. Sie stellt die richtigen Fragen, hört sehr gut zu, ist nicht zu dominant, bewertet mich nicht und versteht mich. Die vorgestellten Methoden passen zu mir.“


Kennenlernen – Persönliches zuerst

Wir fragen zu Beginn unseren potenziellen Coachee, ob sie etwas über sich sagen kann. Berufli-ches wie Persönliches. Dann kann ich mir schon einmal ein Bild von meinem Coachee machen.
Danach stellen wir uns vor. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Highlights. Damit sie weiß, in wel-chen Händen sie ist. Das schafft Vertrauen und stärkt die Beziehung. Wir zeigen auch kurz ähnli-che Fälle auf, mit denen wir befasst waren.
Können Sie mir etwas über sich erzählen– das kann Berufliches oder Persönliches sein?


Impulsfragen

  • Was war ihr erster Gedanke, ihr erstes Gefühl, als Sie gesehen haben, dass ich (unter anderen) für Sie als Coach vorgeschlagen wurde?
  • Was würden Sie gerne von mir wissen?
  • Wollen Sie zuerst etwas über sich sagen? Das fände ich sehr schön.

Definition Coaching anbieten

In der ersten Runde ist es wichtig, sich auf eine gemeinsame Definition des Business Coachings zu einigen. Das sollten Sie vorbereiten und zeigen. Coaching ist eine gemeinsame Erkundungs- und Lern-Reise. Es ist ein Co-Creation-Ansatz und ein Shared-Visioning. Coaching ist keine Therapie oder Training.


Impulsfragen

  • Was verstehen Sie unter Coaching?
  • Wären Sie einverstanden, wenn ich Ihnen zunächst unsere Coaching-Definition und Methodik zei-ge?
  • Was denken Sie über diese Definition und Methodik? Passt es mit Ihren Vorstellungen zusam-men?


Erfahrungen mit Coaching abfragen

Wir fragen unseren Coachee, ob sie schon einmal gecoacht wurde. Falls ja, fragen wir nach ihren Erfahrungen damit.

  • Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Coaching gemacht?
  • Was hat Ihnen gefallen?
  • Was war nicht so gut und was möchten Sie diesmal anders haben?
  • Was müsste geschehen, damit Sie hinterher sagen, wow, das Coaching hat sich gelohnt?


Anliegen und Ziele klären

Durch die Vorphase und den Unterlagen wissen wir ggf. bereits, woran die Coachee im Coaching arbeiten will.

Jetzt gilt es, in dieser ersten Begegnung, das Anliegen zu konkretisieren und zu priorisieren. Wir gehen diese gemeinsam durch. Wir lassen die Punkte durch unseren Coachee erzählen. Das ist wichtig, damit sie sich durch das Erzählen noch einmal Klarheit verschafft, sich selbst beim Er-zählen zuhört. Am Ende der Schilderung fragen wir die Coachee, wie es ihr bei der Vorstellung ih-res Anliegens gegangen ist und welche Gedanken und Gefühle sie dabei hatte.

Wir lassen sie das Anliegen in ein zwei Sätzen zusammenfassen. Falls sie dabei Mühe hat, helfen wir. Jedoch achten wir darauf, dass wir immer bei unserem Coachee bleiben und nicht zu stark unser eigenes Verständnis hineininterpretieren und dies auch noch bestätigen lassen. Sie könnte sonst aus dieser Session rausgehen und denken, er oder sie hat mich nicht wirklich verstanden.

Impulsfragen

  • Was ist ihr konkretes Anliegen?
  • Woran wollen Sie gerne im Coaching mit mir arbeiten?
  • Welche Ziele wollen sie erreichen?
  • Was soll nach dem Coaching anders ein als vorher?
  • Wobei kann ich Ihnen helfen?
  • Wie kann ich Sie unterstützen?
  • Woran würden Sie erkennen, dass Sie Ihre Ziele erreicht haben?

Gesundheitlicher Zustand des Coachees

Coaching ist keine Therapie. Deshalb ist es wichtig, auf Hinweise bzw. Informationen zu achten, die den Gesundheitszustand des Coachees verdeutlichen. Direkt danach fragen ist nicht erforder-lich.

Das Anliegen und die Erwartungen helfen auch. Wenn der Coach zum Beispiel, was nicht so häu-fig vorkommen dürfte, sagt, dass es sein Anliegen, ist, aus dem vom Arzt attestierten Burn-out rauszukommen, sollte die weitere Zusammenarbeit zunächst nicht zugesagt werden. Hier sollten sie als Coach überprüfen, ob in diesem Fall Coaching der richtige Ansatz ist. Ggf. müssen Sie, gemeinsam mit dem potentiellen Coachee Rücksprache mit dem Personalbereich halten, falls die-ser bei der Coachauswahl beteiligt ist.

Der Coachee könnte auch sagen, dass er einen Gehirnschlag oder Hörsturz hatte. Hier sollte nach dem aktuellen Stand und nach der gesundheitlichen Begleitung gefragt werden. Falls der Coachee in Behandlung ist und einen gesundheitlichen Begleiter hat, sollte ein Gespräch zu dritt gesucht werden, um den Rahmen der Coaching-Begleitung und die Phase der gesundheitlichen Belastung zu klären. So kann es sein, dass die Person in einer Reintegrationsmaßnahme ist und beim Re-Boarding durch einen Business Coach begleitet wird.


Impulsfragen

  • Sie haben gerade Ihren kritischen Gesundheitszustand angesprochen. Werden Sie ärztlich bzw. therapeutisch begleitet?
  • Weiss ihr Arzt bzw. Therapeut, dass sie Business Coaching in Anspruch nehmen wollen?
  • Was halten Sie davon, wenn wir als nächste Runde ein Gespräch zu dritt führen und mit Ihrem Arzt bzw. Therapeuten prüfen, ob und wie Coaching helfen kann?
  • Erwartungen abprüfen
  • Der Erwartungsabgleich ist sehr wichtig. Wenn der Coachee wenig Erfahrungen mit Coaching hat, könnte er zu viel erwarten. Diese Erwartungen gilt es realistisch und gemeinsam abzuprüfen. Dies darf nicht konfrontativ geschehen.
  • Impulsfragen:
  • Wir haben zehn Sitzungen, welche konkreten Erwartungen haben Sie an das Coaching?
  • Was ist Ihnen für heute wichtig?
  • Was wollen Sie nicht?
  • Was ist ihr besonderes Interesse, dass Sie sich für das Coaching-Format entschieden haben?
  • Woran werden Sie erkennen, dass wir gemeinsam eine gute Arbeit gemacht haben?


Eigenen Coaching-Ansatz und -Methodik vorstellen

An dieser Stelle empfiehlt es sich, Deinen Coachingansatz darzustellen. Dies können Deine Werte beim Coaching sein, Dein Selbstverständnis, Deine Arbeitsmethode und Deine Vorgehensweise. Am besten stellst Du Deinen Ansatz anhand einer kurzen Präsentation dar. Das kann auch eine einzige Folie sein.


Kurze DEMO-Coaching

Falls noch Zeit vorhanden ist und Du das Gefühl hast, dass eure bereits aufgebaute Beziehung das trägt, kannst Du ein Demo-Coaching für ca. 15 Minuten vorschlagen. Das ist die beste Form, um ein Gefühl für Deine Coaching-Kompetenz zu bekommen.


Impulsfragen

  • Wie haben sie das kurze Demo-Coaching erlebt?
  • Spricht mein Coachingstill Sie an?
  • Können Sie sich das Coaching so vorstellen?
  • Oder brauchen Sie Zeit, um noch einmal nachzudenken?

Stakeholder abfragen

Es ist möglich, dass das Coaching vom Personalbereich oder von der Führungskraft des Coachees empfohlen wurde. Es kann auch sein, dass diese Personen nach der Auswahl des Coaches bei der Formulierung der Ziele beteiligt werden wollen. Überlassen Sie die Entscheidung über den Betei-ligungsgrad und den Zeitpunkt dem Coachee. Sonst besteht die Gefahr, dass er das Vertrauen zu Ihnen verliert, wenn er das Gefühl bekommt, dass sie an dem Kontakt zum Unternehmen zu sehr interessiert sind.

Impulsfragen

  • Wer ist an Ihrem Coaching noch interessiert? Was ist das besondere Interesse dieser Personen?
  • Wie und wann wollen Sie, wenn überhaupt, diese Personen beteiligen?
  • Wird zum Beispiel von Ihrem Vorgesetzten bzw. von der Personalabteilung ein Dreiecksgespräch zu Beginn, zwischendurch oder am Ende gewünscht oder sogar erwartet?
  • Wie wollen Sie mit diesen Erwartungen umgehen? Kann ich Sie dabei unterstützen?

Zwischen-Check

Wir haben die Zeit genau im Blick. Gegen Mitte der Zeit, fragen wir die Coachee, ob wir auf dem richtigen Weg sind und ob wir etwas ändern müssen.
Störungen ansprechen
Falls wir eine Störung verspüren, sprechen wir diese ggf. und mit Bedacht an.

Impulsfragen

  • Habe ich Sie verloren?
  • Was kann ich tun, damit wir uns wieder finden?

Nächste Schritte

Einigen Sie sich auf die nächsten Schritte. Falls der Coachee sagt, dass er gerne mit Ihnen weiter machen und keine Zeit verlieren will, ist es hilfreich, die nächsten Schritte kurz zu besprechen. Der Coachee sollte dann eine Aufgabe bis zur nächsten Runde von Ihnen bekommen. Dies kann eine Beobachtungs- oder Klärungsaufgabe sein.

Sie könnten dem Coachee im Anschluss auch einen Artikel oder ein Buchempfehlung geben.
Er könnte auch ein Bild seiner Organisation mit seiner Rolle darin zeichnen und zur nächsten Runde mitbringen.


Feedback am Schluss einholen

Wie in normalen Coaching-Sessions fragen wir auch in dieser ersten Runde nach Feedback. Ein paar Minuten sollten noch zur Verfügung stehen, damit gegebenenfalls Unklarheiten bzw. Miss-verständnisse besprochen werden können.
Unabhängig davon, wie das Feedback ausfällt, bedanken wir uns freundlich und professionell bei unserem Coachee.


Impulsfragen

  • Wie haben Sie diese allererste Runde erlebt, auch wenn wir noch nicht ins Coaching gegangen sind?
  • Konnten Sie alle Ihre Fragen klären? Habe ich alle Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten können?
  • Ist noch etwas offengeblieben?
  • Mit welchen Gedanken bzw. Gefühlen gehen Sie heute raus?

Zusammenfassung für den Coach

Erfolgsfaktoren dieser ersten Runde

  • Mit dem Herzen zuhören
  • Alle Fragen des Coachees beantworten
  • Als Coach auch (viel) erzählen, damit Coachee ein gutes Gefühl bekommt
  • Immer positiv sein
  • Respektvoll und wertschätzend
  • Wirklich am Coachee interessiert sein – nicht nur an seinem Fall
  • Vertraulichkeit nicht gefährden – zum Beispiel in dem man über andere Unternehmen namentlich spricht
  • Mit dem „Nichtwissen“ einsteigen – jede Coachee und Fall ist unique (Know-Nothing-State)
  • Auf eigene Blind-spots und Vorurteile achten – sich selbst als Coach gut kennen

Risikofaktoren dieser ersten Runde

  • Kein Selbstmarketing betreiben
  • Bewerten, kritisieren
  • Zu früh konfrontieren, ohne den Auftrag dazu zu haben
  • Bereitschaft an sich zu arbeiten ist beim Coachee noch gar nicht gereift
  • Name Dropping betreiben – besser: keine Namen nennen, beim Coachee bleiben

Wann als Coach aussteigen?

Es ist zu überlegen, das Coaching nicht anzunehmen, wenn insbesondere folgende Phänomene sich zeigen:

  • Wenn Sie selbst spüren, dass Sie an den potenziellen Coachee nicht herankommen.
  • Wenn Sie ihn nicht wirklich verstehen und ständig aneinander vorbeireden.
  • Wenn Sie ein sehr negatives Gefühl, eine innere Abwehr, gegenüber dem Coachee empfinden (auch wenn dieses Empfinden gutes Material für Coaching wäre, kann sich das später in Form ei-ner schlechten Bewertung durch den Coachee rächen)
  • Wenn der Coachee sagt, „ich muss ja ins Coaching, eigentlich will ich das gar nicht“ (hier ist die Freiwilligkeit nicht gegeben)

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