Organisationale Übergangssituationen methodisch begleiten

Organisationale Übergänge und Transformationsprozesse erfordern das Loslassen von Vertrautem und das Eingehen auf Neues. In dieser Phase kann jedoch ein Stillstand eintreten, da das Alte nicht mehr investitionswürdig erscheint und das Neue noch unklar ist. Dies kann Unsicherheit und Unzufriedenheit bei den Betroffenen hervorrufen. Produktivitätsverluste sind die Folge. Der Beitrag stellt Methoden, Ansätze und Vorgehensweisen sowie praktische Interventionen aus dem Organisations Coaching vor, die helfen können, Übergangssituationen effektiv zu gestalten.

Systemisches Denken und Handeln, Organisationsentwicklung,
Prozessberatung, Aktions- bzw. Praxisforschung, Coaching so
wie Leadership und Group Relations im Sinne erfahrungsorien-
tierten Lernens sind zentrale Elemente, die ineinandergreifen
und die Basis unserer Methode im Organisations-Coaching bil
den. Eine Auswahl erprobter Ansätze geben im Folgenden einen
Einblick in die Vorgehensweisen, die sich besonders in Über-
gangssituationen in Organisationen als relevant für eine erfolg
reiche Gestaltung erwiesen haben.

System-Event
Das System-Event, basierend auf dem Group Relations-Ansatz
des Tavistock Instituts of Human Relations, London, ermöglicht
Mitarbeitenden, wichtige Themen durch gemeinsame Reflexion
und Analyse mit Beteiligten aus verschiedenen Unternehmens-
bereichen in einer realen Arbeitssituation und Arbeitszeit zu
erkunden. Dabei werden sowohl fachliche Aspekte als auch un
bewusste Phänomene der Kooperation und Kommunikation be-
rücksichtigt.

In Übergangssituationen, in denen Organisationen tiefgreifende
Veränderungen durchlaufen, spielt das Konzept eines Sys tem
Events eine besonders wichtige Rolle. Diese Phasen sind oft von
Unsicherheit geprägt und erfordern eine schnelle Anpassung
an neue Bedingungen. Ein System-Event bietet ein strukturier-
tes Format, um die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen, indem es
Selbstmanagement und Selbstorganisation stärkt.
Ziel der Methode, die kein einmaliges Ereignis ist, sondern
sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist es, Selbstma-
nagement, Selbstorganisation und Beziehungsgestaltung einer
Organisation oder eines Projektes zu erforschen und Hypothe
sen zu entwickeln, zu testen und zu präsentieren. Es bietet ein
temporäres Organisations-Lernsystem, um bewusste und un
bewusste Phänomene einer Organisation zu erkunden. Es hilft
also, Klarheit zu schaffen, indem Annahmen über die aktuelle
Lage getestet werden, und fördert die interne Kommunikation
und Zusammenarbeit.
Das oezpa-System-Event besteht aus drei Phasen: Eröffnungs-
plenum, Arbeit in Subsystemen und Abschlussplenum. Teilneh
men de können verschiedene Rollen wie Stille Beobachter, Dele
gierte oder Repräsentanten einnehmen. Organisations-Coaches
unterstützen die Subsysteme durch Beobachtung und Interpreta-
tion. Sie bieten Beratung an und ermöglichen Mitarbeitenden wie
Führungskräften, die Dynamiken ihrer Organisation zu erleben.

Praxisbeispiel System-Event:
Gestaltung Nachfolge-Prozess
In einer Organisation wurde das System-Event über die Geschäfts
führung eingeführt. Es dauerte ein Jahr und fand im Abstand
von sechs Wochen jeweils für 90 Minuten statt. Vor dem einzel-
nen System-Event fand jedes Mal eine Managementteam Coa-
ching-Sequenz statt. Deren Ziel bestand darin, die aktuellen Her
ausforderungen und Probleme der einzelnen Führungskräfte so
wie des gesamten Teams zu adressieren. Ein wesentlicher Be
standteil dieser Sitzungen war die Begleitung des Übergangs
vom langjährigen, männlichen Gründer, der die Organisation
über 15 Jahre aufgebaut hatte, zu einer jungen Mitarbeiterin, die
seine Nachfolge antrat. Dieser Führungswechsel führte zu zahl
reichen organisatorischen und personellen Veränderungen, die
im Rahmen des Coachings aufgegriffen und bearbeitet wurden.
Der Geschäftsführer hat die gesamte Organisation angeschrie
ben und Interessierte, die an diesem «Experiment» teilnehmen
wollten, gebeten, sich zu melden. Wichtig war, dass sie sich von
ihren jeweiligen Abteilungsteams für diese Veranstaltung dele
gieren lassen. Dieser Prozess der Teamauswahl und Delegation
sowie die anschließende Repräsentanz beim System-Event för
derten das bewusste Reflektieren über Rollen und Verantwort
lichkeiten. Zudem unterstützte er die Teilnehmenden dabei, das
eigene Management in der Rolle als Repräsentant*in effektiv zu
gestalten. Ein externer Organisations-Coach begleitete die Ver
anstaltung. In dieser Zeit konnte der Organisation geholfen werden,
unterschwellig wirkende Themen und Dynamiken, so zum Beispiel
den einschneidenden Geschäftsführerwechsel nach 15 Jahren,
durch Dialog und Reflexion zu bearbeiten.
Durch die Haltung, systemische Gesamtperspektive und Arbeitsweise
konn te eine neue Form der Kommunikation und des Dialogs er
probt und eingeführt werden. Wir bezeichnen das auch als Kul
turentwicklung der Organisation.


Im System-Event, in dem auch Vertreter*innen des Manage-
ments delegiert wurden, konnten Fantasien, Gedanken und Emo-
tionen über die Situation des Unternehmens (Institution in the
mind), die Beziehungen zwischen Abteilungen und Zugehörig-
keiten untereinander erlebt und beobachtet werden.

«Es hilft, Klarheit zu schaffen,
indem Annahmen über die aktuelle
Lage getestet werden.»

In der Arbeit mit dem System-Event gilt es, Gefühle, Fantasien,
Assoziationen und Gedanken miteinander auszutauschen und
deren Bedeutung zu besprechen. So werden beispielsweise Fan-
tasien über die Rolle des Managements erlebt und offen mit ge-
teilt, um diese zu verstehen und am Ende zu integrieren bzw.
positiv auszurichten. Hier sind die Vertreter*innen des Manage-
ments im System-Event Teilnehmende wie alle anderen. Durch
die Veranstaltung erfahren sie, was die Mitarbeitenden aktuell
beschäftigt, belastet oder erfreut.

Praxisbeispiel System-Event:
Vorbereitung transformativer Veränderungen

In einem Großprojekt der Ärzte- und Apothekerbank (Apo) mit
einem Dienstleister, der dwpbank, die uns beauftragt hatte, wur
de angesichts eines drohenden Projektabbruchs unter Beteili
gung der Vorstände ein System-Event durchgeführt.
Ziel war es hier, eine grundlegende Vorbereitung für trans
formative Veränderungen zu schaffen, indem wichtige Stake
holder durch Vorab-Interviews informiert und in den Prozess
eingebunden wurden. Diese Methodik zielt darauf ab, alle Be
troffenen aktiv zu Beteiligten des Wandels zu machen, indem
ihre Perspektiven und Bedürfnisse in die Lösungsfindung und
Umsetzung integriert werden. Darüber hinaus ging es darum,
Ängste, Sorgen, Konflikte und kritische Herausforderungen zu
reflektieren und diese bewussten sowie unbewussten Dynami
ken aufzufangen. Dies sollte einen Rahmen der psychologischen
Sicherheit bzw. des psychodynamischen Containments schaf
fen, um eine effektive und unterstützende Umgebung während
des Transformationsprozesses zu gewährleisten.


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