„Mit Sicherheit erfolgreicher führen

Feedback und Lernen spielen für die Qualität und die Sicherheit in der Medizin eine grosse Rolle. Beides ist voraussetzungsvoll. Zur Jahrtausendwende wurde der Begriff «psychologische Sicherheit» (PS) geprägt, als nicht zuletzt Forschungen in der Chirurgie zeigten, dass Teams, die aus Fehlern lernen, bessere Leistungen erzielen als jene, die Lernchancen unter den Teppich kehren [1].

Als entscheidende Variable erwies sich dabei, ob Teammitglieder angstfrei Feedback gaben und Fragen zu stellen wagten. Beides bedeutet ein Risiko, zum Beispiel ausgeschlossen oder verlacht zu werden. Dieses Risiko einzugehen, fällt in einem angstfreien Gruppenklima deutlich leichter [2].

Die psychologische Sicherheit lässt sich zuverlässig messen [3] und variiert von Team zu Team, sogar innerhalb derselben Organisation. Ebenfalls empirisch belegt ist die Tendenz von Führungskräften, ihren persönlichen Beitrag zum Sicherheitsgefühl sowie die sichere Basis des Teams an sich zu überschätzen. Diese doppelte Selbsttäuschung bestätigt die Konstante, dass Menschen grosse Mühe haben, das Verhalten anderer korrekt einzuschätzen. Mühelos gelingt hingegen die präzise Einschätzung der Wirkung, die das Verhalten anderer auf uns hat.


Führungskraft als Sicherheitsanker

Ein sicheres Gruppenklima spiegelt sich im eigenen Erleben und Verhalten wider. Im besten Fall fühlen wir uns in der Gegenwart anderer gelassen und verbunden, verfügen also über eine starke innere Sicherheit. Das äussert sich auf unterschiedliche Art und Weise: Das Ping-Pong im Team läuft angstfrei und geschmeidig, die Redeanteile sind gleichmässig verteilt. Unser Atem geht tief und ruhig. Unser Toleranzfenster ist geöffnet. Ausreissern begegnen wir mit Selbstregulation: Unser Stresspegel mag kurzzeitig hochgehen, sinkt dann aber rasch wieder ab. Als Führungskraft fungieren wir als Sicherheitsanker im Team.


Die psychologische Sicherheit lässt sich zuverlässig messen und variiert von Team zu Team

Anders sieht es aus, wenn wir ausserhalb unseres Toleranzfensters getriggert werden. Dann reagieren wir defensiv und verlieren denKontakt zu uns und den anderen. Das verhindert einen offenen und angstfreien Austausch. Wer über weite Strecken ausserhalb seines Toleranzfensters unterwegs ist, kann versucht sein, die eigene Unsicherheit als Druck (Defensivreaktion «Fight») an das Team weiterzugeben oder auf Harmonie zu setzen und Leistungserwartungen fahren zu lassen (Defensivreaktion «Flight»). Ob Dominanz oder Laisser-faire, beides geht zulasten des Sicherheitsempfindens im Team und löst auch dort die Defensivreaktionen Fight, Flight oder
Freeze aus – mit den aus der Forschung bekannten unerfreulichen Folgen. Kurzum: Ein Gefühl der Sicherheit im Team gibt es nur, wenn die Führungskraft sich selbst und allen Mitgliedern eine sichere Basis der Zusammenarbeit geben kann. Diese Erkenntnis hat sich in
anderen sicherheitsrelevanten Berufen längst durchgesetzt. Wer als Pilot im Simulator-Training den eigenen Druck am Co-Piloten ablässt, hat zum letzten Mal ein Flugzeug geflogen.
Sicherheitsrisiko Führung?


Der aktuelle Verhaltenskanon der PS ermuntert Führungskräfte, als gutes Beispiel voranzugehen und Vulnerabilität zu zeigen sowie, Fehler einzugestehen. Das ist zwar ein gut gemeinter Ratschlag. Eventuell wird dabei aber die Bedeutung hierarchischer Strukturen unterschätzt, die insbesondere in der Medizin noch stark ausgeprägt sind. Wir sollten nicht vergessen, dass die Chefärztin oder der Chefarzt in letzter Instanz die Patientensicherheit garantiert. Auch wenn das unter den heutigen spezialisierten Verhältnissen illusorisch sein mag, die strukturelle Imagination bleibt – und die (Selbst-)Erwartung wirkt. Vor diesem Hintergrund kann das Zeigen eigener Vulnerabilitäten als potenzieller Statusverlust empfunden werden. Umgekehrt können die Geführten ihre Ambivalenz hinsichtlich Sicherheit und Risiko auf den Führenden projizieren. All dies gilt freilich auch für den Flugkapitän.

Das bedeutet nicht, dass Hierarchie PS verunmöglichen würde. Im Gegenteil: Einigen Führungskräften gelingt es besonders gut, ein sicheres Gruppenklima zu schaffen. Führung kann einen besonderen positiven Einfluss haben, sie bringt gleichzeitig aber auch eine
weitere Variable der Unsicherheit ins Spiel. Das erfordert viel Sensitivität. Hilfreich für Führende wäre darum, einerseits sich selbst zu fragen: wie ist es um mein eigenes Sicherheitsempfinden bestellt? Was sind meine Sicherheitsanker, was typische Triggerpunkte?


Wann schliesst sich mein Toleranzfenster? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen Führungskräfte in gutem Kontakt mit sich selbst sein. Das ist viel weniger selbstverstädnlich ich, als man annehmen könnte. Andererseits gilt es, die Fühler auszustrecken und beim Gegenüber mögliche Defensivreaktionen wahrzunehmen. Im Rahmen von Safety-Boxenstopps kann ein Austausch darüber gelingen, wie es um das Sicherheitsempfinden der Teammitglieder bestellt ist. Ein erstes Pulsnehmen kann mit einem Test erfolgen [3], ein neugieriges Erkunden und Ausweiten der sicheren Kreise im Team, mit der «OnlineGruppen-Reise» Arche, die in spielerischer Weise wechselseitige Wahrnehmungen erfragt und Team-Austausch ermöglicht [4].
Ob Dominanz oder Laisserfaire: Beides geht zulasten
des Sicherheitsempfindens im Team.


Der Gewinn einer Verständigung über innere und psychologische Sicherheit liegt in gelingenden Lernprozessen, einer besseren Performance, mehr Zufriedenheit und weniger Stress auf allen Seiten.“

Autoren: Joachim Maiera (a), Christof Schmitz (b)
(a)Leiter Weiterbildungskurs Psychologische Sicherheit als Führungsaufgabe, Institut für Angewandte Psychologie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW,
Zürich;
(b) Mitgründer und Mitglied Geschäftsleitung, College M, Bern

Ähnliche Beiträge