Von der Kollegin bzw. vom Kollegen zur Führungskraft: Chancen, Spannungen und wissenschaftliche Erkenntnisse
Der Übergang vom Kollegen oder von der Kollegin zur Führungskraft gehört zu den schwierigsten Rollenwechseln im Berufsleben. Unternehmen wenden sich häufig in genau solchen Situationen an Coaches oder Berater*innen, weil mehrere Spannungsfelder gleichzeitig wirksam werden: persönliche Beziehungen, formale Autorität, Erwartungen von oben und Loyalität im Team.
Forschungen zeigen, dass dieser Rollenwechsel mit hohen emotionalen Anforderungen verbunden ist. Besonders die sogenannte Rollenambiguität – also die Unsicherheit darüber, wie die neue Rolle ausgestaltet werden soll – kann Stress und Konflikte erzeugen (Katz & Kahn). Hinzu kommt, dass soziale Identität und Statuswahrnehmung stark herausgefordert werden. Nach der Sozialen Identitätstheorie (Tajfel & Turner) reagieren Menschen sensibel auf Statusveränderungen. Wird der Status infrage gestellt, sind Abwehrreaktionen und Loyalitätskonflikte die Folge.
Freundschaft und Führungsrolle
Eine enge Freundschaft aus der Zeit als Kolleg*in verändert sich zwangsläufig. Sie kann bestehen bleiben, jedoch nicht in der gleichen Form. Das neue Machtgefälle erfordert Klarheit über Grenzen. Studien zu Leader–Member Exchange (LMX) zeigen, dass die Qualität der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden entscheidend für Vertrauen und Leistung ist (Graen & Uhl-Bien). Eine gesunde Balance zwischen professioneller Distanz und persönlicher Verbundenheit wird hier zum Erfolgsfaktor.
Autorität und Akzeptanz
Autorität entsteht nicht allein durch die Position, sondern durch konsistentes Verhalten. Transparenz, Fairness und Entscheidungsstärke sind wichtiger als formale Macht. Empirische Untersuchungen zur authentischen Führung (Walumbwa et al.) zeigen, dass Mitarbeitende Führungspersonen dann akzeptieren, wenn diese klar, berechenbar und werteorientiert handeln. Akzeptanz ist ein Prozess, der Monate dauern kann.
Herausforderung im Führungskreis
Oft liegt die eigentliche Bewährungsprobe nicht im eigenen Team, sondern bei den bisherigen Vorgesetzten, die nun Kolleg*innen im Leitungskreis sind. Hier entscheidet sich, ob die neue Führungskraft als gleichwertig anerkannt wird. Ein souveränes Auftreten, klare Abgrenzung der eigenen Verantwortung und das Einfordern von Respekt sind zentrale Schritte, um die neue Rolle zu festigen.
Verhaltenstipps für die neue Rolle
Untersuchungen im Bereich der Transition Leadership (Hill) verdeutlichen, dass es entscheidend ist, den Rollenwechsel klar zu kommunizieren und Erwartungen offen anzusprechen. Kumpelhaftigkeit oder das Vermeiden unangenehmer Entscheidungen schwächen die Glaubwürdigkeit. Wichtig ist stattdessen, Entscheidungen konsistent zu treffen und Unsicherheiten mit Sparringspartnerinnen wie Coaches oder Mentorinnen zu reflektieren.
Umgang mit Freundschaften
Ehemalige Freundschaften sollten nicht abrupt beendet, sondern bewusst neu definiert werden. Ein offenes Gespräch über die veränderte Dynamik schafft Klarheit und vermeidet Missverständnisse. Studien zu Boundary Management (Ashforth et al.) belegen, dass klare Abgrenzung zwischen Rolle und Person entscheidend für langfristig gesunde Beziehungen im Arbeitskontext ist.
Der Übergang vom Kollegen zur Führungskraft ist damit kein einmaliger Schritt, sondern ein längerer Prozess. Er erfordert Selbstreflexion, kommunikative Klarheit und die Bereitschaft, Beziehungen neu zu gestalten.