In der Managementberatung begegnen wir regelmäßig Organisationen, die vor der Entscheidung stehen, eine neue Hierarchieebene einzuziehen. Diese Veränderung ist mehr als eine technische Anpassung im Organigramm – sie ist ein sensibler Eingriff in die Macht- und Statusarchitektur einer Organisation. Besonders deutlich zeigte sich diese Herausforderung im Bankensektor: Unterhalb des Vorstands wurde eine zusätzliche Ebene geschaffen, an die langjährige Bankdirektoren berichten mussten. Der neue Chef kam zudem von außen. Für viele war das eine doppelte Kränkung – eine gefühlte Degradierung und Abwertung ihrer bisherigen Rolle.
Das Einziehen einer neuen Hierarchieebene ist kein einfacher Reorganisationsschritt, sondern ein tiefer Eingriff in Identität, Kultur und Machtgefüge. Mit einer integrierten Change Management Strategie, die Führung, Beratung und Coaching verbindet, lässt sich dieser Prozess so gestalten, dass nicht nur Strukturen angepasst, sondern auch Selbstverständnis, Zusammenarbeit und Zukunftsfähigkeit der Organisation gestärkt werden.
Wissenschaftliche Perspektive: Warum Statusverlust zu Widerstand führt
Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieses Erleben nachvollziehbar. Forschungen zur organisationalen Identität und zur sozialen Vergleichstheorie (Tajfel/Turner) zeigen, dass Statusverlust fast immer Widerstand hervorruft. Führungskräfte identifizieren sich stark mit ihrer Position. Wird diese infrage gestellt, reagiert das System nicht nur rational, sondern vor allem emotional. Eine Hierarchie ist daher mehr als ein Organigramm – sie prägt Selbstwert, Einflussmöglichkeiten und Karrierehoffnungen.
Das Einziehen einer zusätzlichen Führungsebene birgt daher erhebliche Risiken für Motivation und Zusammenhalt. Es entstehen Loyalitätskonflikte („Warum soll ich an eine Zwischenebene berichten, wenn ich bisher direkten Zugang zur Spitze hatte?“) sowie Unsicherheiten über Einfluss, Entscheidungskompetenzen und Entwicklungsperspektiven.
Strategische Notwendigkeit und Gestaltungsansätze
Trotz dieser Risiken kann es strategisch notwendig sein, eine neue Ebene zu schaffen – etwa um Führungsspannen zu reduzieren, Komplexität zu ordnen oder Führung zu professionalisieren. Entscheidend ist, wie die Veränderung gestaltet wird.
In der Praxis zeigt sich, dass es wenig hilfreich ist, neue Führungskräfte sofort mit formaler Macht auszustatten. Ein wirksamer Weg besteht darin, die Person zunächst ohne disziplinarische Verantwortung einzuführen: beispielsweise in Workshops, bei Veranstaltungen oder als Diskussionspartner*in für Vision und Strategie. Dadurch entsteht eine behutsame Annäherung, die Vertrauen aufbaut und die Akzeptanz der neuen Rolle erleichtert.
Transparenz und Sinnorientierung als Erfolgsfaktoren
Ebenso zentral ist Transparenz. Alle Beteiligten müssen verstehen, warum diese Ebene notwendig ist und welche Vorteile sie für Organisation, Kund*innen und Mitarbeitende bringt. Change-Forschung (Kotter, Heifetz, Özdemir) betont, dass Veränderung nur gelingt, wenn ein echter Leidensdruck vorhanden ist oder ein tieferer Sinn vermittelt wird. Ohne diesen „Case for Change“ wird eine neue Hierarchieebene schnell als Misstrauenssignal oder als reines Machtspiel wahrgenommen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Anerkennung von Karrierehoffnungen. Wer jahrelang direkten Zugang zur Unternehmensspitze hatte, erlebt den Verlust von Einfluss als Eingriff in die eigene Biografie. Dies sollte nicht klein geredet, sondern ernst genommen werden. Neue Rollenprofile, Entwicklungswege und Mitgestaltungsmöglichkeiten helfen, Kränkungen abzufedern.
Unsere Erfahrungen aus nationalen und internationalen Change Management Projekten zeigen, dass durch eine Kombination aus Sinnorientierung, Beteiligung, behutsamer Einführung und Anerkennung der bisherigen Leistung der Übergang deutlich besser gelingt – und Organisationen langfristig von der neuen Struktur profitieren.
Stellhebel für eine erfolgreiche Einführung neuer Führungsebenen
Neben Transparenz, Sinnorientierung und behutsamer Einführung gibt es weitere wirksame Stellhebel, die sich aus den Perspektiven von Führungskräften, Berater*innen und Coaches ergeben:
Als Führungskraft
- Vorbild zeigen: Aktiv mit der neuen Ebene arbeiten, die Legitimität der Rolle sichtbar unterstützen.
- Status würdigen: Leistungen und Erfahrungen betroffener Führungskräfte anerkennen, z. B. in Townhalls oder persönlichen Gesprächen.
- Dialogräume öffnen: Emotionen und Unsicherheiten ernst nehmen, nicht nur über Aufgaben sprechen.
- Karrierepfade neu definieren: Klarstellen, wie Entwicklung auch mit zusätzlicher Ebene möglich bleibt.
Als Berater*in
- Stakeholder-Analyse durchführen: Gewinnerinnen und Verliererinnen im Veränderungsprozess identifizieren.
- Gestaltungsoptionen aufzeigen: Unterschiedliche Modelle (Matrix, Business Units, Kompetenzzentren) simulieren.
- Moderation von Übergängen: Workshops zu Rollen, Verantwortlichkeiten und Schnittstellen gestalten.
- Kommunikationsarchitektur entwickeln: Informations- und Dialogformate etablieren, um Gerüchte zu reduzieren.
Als Coach
- Individuelle Begleitung anbieten: Führungskräften Raum geben, Kränkungen und Verunsicherung zu reflektieren.
- Ressourcen aktivieren: Fokus auf Stärken, Erfahrungen und Chancen lenken.
- Perspektivwechsel fördern: Methoden wie Tetralemma oder Rollenarbeit einsetzen.
- Konflikte adressieren: Einzel- und Teamcoachings nutzen, um unausgesprochene Spannungen zu bearbeiten.